Hintergründe zum BAK-Konjunkturausblick

Was den Schweizer ­Neuwagenmarkt bremst

Händler und Importeure hoffen seit Jahren auf ein Comeback der Verkaufszahlen. Laut dem Konjunkturreport von BAK Economics bleibt die Marke von 300000 Personenwagen aber in weiter Ferne – mit spürbaren Folgen für die Garagisten.
Publiziert: 19. November 2025

Von

Kai Müller


										Was den Schweizer ­Neuwagenmarkt bremst
Die alternativen Antriebe legen weiter zu: Der Skoda Enyaq gehört zu den meistverkauften Elektroautos in der Schweiz. Foto: Skoda

Die Bevölkerung wächst, das Verkehrsvolumen wächst, die Zahl der Autos auf den Strassen wächst – und doch stagniert der Neuwagenmarkt seit Jahren. «Das ist die neue Realität, mit der wir lernen müssen, umzugehen», sagt Markus Aegerter, Mitglied der Geschäftsleitung des AGVS.

Warum bleibt der Absatz so tief? Leidet die Branche noch immer unter den Nachwirkungen der Pandemie, haben sich die Bedürfnisse der Autofahrenden verändert, oder bremst der Wandel zur Elektromobilität den Markt? Oder ist es eine Mischung aus allem?

 

Die 300000 bleiben ein Wunschziel

Zur Einordnung der aktuellen Situation helfen ein paar Zahlen: Vor der Pandemie lag die Zahl der neuimmatrikulierten Personenwagen jeweils über 300000, vor zehn Jahren waren es rund 324000. Als Corona 2020 auch die Schweiz erfasste, stürzte sie auf 237000 ab. Seither blieb der Markt auf tiefem Niveau. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres wurden rund 187000 Neuwagen verkauft. BAK Economics rechnet in seinem Konjunkturreport für das Schweizer Autogewerbe mit 232000 Neuimmatrikulationen bis Ende 2025 und einem minimalen Plus von 0,5 Prozent für 2026. Zwar legt der Markt dank alternativer Antriebe leicht zu, doch der Rückgang bei den Verbrennern verhindert eine stärkere Erholung.

Bis 2031 sagt das Wirtschaftsforschungsinstitut ein durchschnittliches Wachstum von 1,6 Prozent voraus. «Solche längerfristigen Prognosen sind zwar mit etwas Vorsicht zu geniessen», sagt BAK-Projektleiter Julian Burkhard, «aber man kann schon davon ausgehen, dass die 300 000er-Marke in den nächsten Jahren nicht erreicht wird.»

Auch wenn die Neuzulassungen seit 2020 stagnieren, nimmt die Zahl der Autos auf Schweizer Strassen weiter zu – wie schon seit Jahrzehnten. 2024 waren laut Bundesamt für Statistik knapp 4,8 Millionen Personenwagen und damit mehr denn je immatrikuliert. Das heisst auch: Der Fuhrpark wird älter. Das Durchschnittsalter der Personenwagen liegt bei 10,5 Jahren, ebenfalls ein Rekordwert.

 

Corona hat vieles verändert

Der Einbruch vor fünf Jahren markierte eine Zäsur, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im Verhalten vieler Autofahrerinnen und Autofahrer. Mit der Pandemie veränderten sich Mobilität und Prioritäten: Wer plötzlich im Homeoffice arbeitete, merkte, dass ein (zweites) Auto oft verzichtbar war. Gleichzeitig erlebte das E-Bike einen regelrechten Boom, «es entwickelte sich vom Freizeitgerät zum Alltagsverkehrsmittel», so Burkhard. «Gerade auf Kurzstrecken haben sich E-Bikes als echte Alternative etabliert.»

Corona wirkte wie ein Katalysator, Entwicklungen, die schon zuvor eingesetzt hatten, nahmen seither Fahrt auf. Entsprechend haben sich die Gewichte im Markt verschoben: Viele verzichten auf den Kauf eines Neuwagens, ältere Fahrzeuge wechseln stattdessen einfach den Besitzer. Das stützt den Gebrauchtwagenhandel, in dem die Nachfrage zwar wieder leicht zugenommen hat, aber noch immer klar unter dem Vorkrisenniveau liegt. «Der Occasionsmarkt ist derzeit sehr attraktiv – mit einer grossen Auswahl an jungen Fahrzeugen, die preislich oft deutlich günstiger sind», meint Peter Picca, Präsident des Volkswagen-Markenhändlerverbands. 

 

Verunsicherung bremst Konsumenten

Einer der Hauptgründe für die Flaute im Neuwagenmarkt ist die anhaltende Unsicherheit, wirtschaftlich wie technologisch. Die Fahrzeugpreise liegen noch immer rund acht Prozent über jenen von 2019, gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten.

«Diese Unsicherheit ist deutlich spürbar», sagt Marc Weber, Präsident des Toyota-Markenhändlerverbands und Inhaber der Ausee-Garage AG in Au-Wädenswil ZH. «Viele Konsumentinnen und Konsumenten zweifeln an der Ladeinfrastruktur und am politischen Rückhalt für die Elektromobilität. Andere zögern wegen der wirtschaftlichen Lage oder wissen schlicht nicht, welche Technologie sich durchsetzen wird.»

 

Werkstattgeschäft als Rückgrat

Für die Garagisten hat die gedämpfte Nachfrage unmittelbare Folgen. Viele Betriebe würden das mit einem stärkeren Fokus auf Werkstatt und Handel mit gepflegten Occasionen auffangen, sagt AGVS-Vertreter Markus Aegerter. «Das Werkstattgeschäft bildet heute für viele Betriebe das Rückgrat.» Der BAK-Konjunkturreport untermauert das. Seit 2020 sind die Werkstattumsätze kontinuierlich gestiegen, von rund 16,7 auf über 20 Milliarden Franken.

Da Fahrzeuge länger im Einsatz bleiben, steigt der Bedarf an Unterhalt, Diagnose und Reparaturen. Zudem wachsen gemäss Aegerter die Anforderungen an Know-how und Ausrüstung – insbesondere bei Elektronik und Hochvolttechnik. «Wir sehen mehr komplexe Reparaturen statt einfacher Wartungsarbeiten», sagt er. «Gleichzeitig steigt die Bedeutung einer guten Kundenberatung – etwa bei Kosten-Nutzen-Fragen oder nachhaltigen Reparaturlösungen. Vertrauen spielt eine immer grössere Rolle, wenn Kunden ihr Auto zehn Jahre oder länger behalten.»

 

Der Rat an die Garagisten

Um sich auf das dauerhaft tiefere Neuwagenniveau einzustellen, rät Aegerter den Betrieben, ihr Geschäftsmodell breiter aufzustellen: «Das Werkstatt- und Occasionsgeschäft stärken, die digitale Kundenkommunikation verbessern und in Mitarbeiterschulung investieren.» Auch Kooperationen mit Flottenkunden oder regionalen Betrieben könnten helfen.

Aegerter sieht im Strukturwandel sowohl Risiko als auch Chance. «Für Betriebe, die am alten Modell festhalten, ist es sicher eine Gefahr. Aber wer sich anpasst, findet viele Möglichkeiten: neue Geschäftsfelder, mehr Kundennähe, Digitalisierung und nachhaltige Angebote.»