«Der Händler bleibt ganz zentral»

Interview mit Christian Stein

«Der Händler bleibt ganz zentral»

24. April 2024 agvs-upsa.ch – Renault will mit dem neuen Unternehmensteil Ampere Elektromodelle zum erschwinglichen Preis für die breite Masse bauen. Wie dies in Europa funktionieren soll und welche Rolle dabei Garagen einnehmen, erläuterte ­Christian Stein, Verantwortlicher Kosten und Kundenerlebnis bei Ampere, den AGVS-Medien am Genfer Autosalon (GIMS) aus erster Hand. Jürg A. Stettler

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Christian Stein vor einer Elektro-Plattform, von welcher diverse Modelle im Renault-Konzern profitieren werden. Fotos: AGVS-Medien

Herr Stein, was ist Ampere innerhalb der Renault-Gruppe eigentlich – einfach die Elektro- und Software-Abteilung von Renault oder mehr?
Christian Stein: Ampere ist ein Tech-Konzern für Elektro- und Software-Entwicklung. Wichtig sind die Zusammenhänge im Hintergrund: Wir erleben eine regelrechte industrielle Revolution durch Elektroautos und Vernetzung. Global haben wir zum ersten Mal seit 100 Jahren so viele neue Player, die in die Autobranche vorstossen; zuvor hatten wir ja eher eine Konzentrationsbewegung. Möglich machen dies einzig die E-Autos und vernetzte Fahrzeuge. All die neuen Player sind extrem schnell unterwegs. Will man als etablierte Marke hier konkurrenzfähig bleiben, müssen wir kleiner, agiler und schneller werden bei der Entwicklung. Und genau dies ist die Aufgabe von Ampere.
 
Die Renault-Tochter Ampere
Mit der Gründung von Ampere, dem ersten europäischen «Pure Player» für Elektrofahrzeuge und Software, treibt die Renault Group die dritte Stufe des Strategieplans Renaulution voran. Ziel des am 1. November 2023 gegründeten Unternehmens ist es, zum europäischen Marktführer für E-Autos zu avancieren. Dies soll etwa durch Einführung erschwinglicher E-Modelle mit modernster Software und für breite Kundenkreise erfolgen. Ampere baut dabei auf die über 15-jährige Erfahrung der Renault-Gruppe bei Elektromobilität auf.

Sind Sie sicher, dass diese Ausgliederung das richtige ­Erfolgsrezept ist?
Wir können mit der Ampere-Organisation ein preiswertes E-Auto auf den Markt bringen mit der bestmöglichen Technologie und zudem der Referenz zur bekannten Marke Renault und über das Renault-Händlernetz. Neue Player haben immer mit mangelnder Bekanntheit und mit geringer Marktpräsenz zu kämpfen. Schaut man sich die potenziellen E-Auto-Kunden genauer an, dann sagen zwei Drittel davon, dass sie beim Kauf eine gute Beratung durch Fachleute brauchen. Da sind Fragen wie: Treffe ich die richtige Wahl? Welche Antriebsbatterie und welche Ladelösung brauche ich? Wie lade ich auf Reisen? Auf diese Fragen benötigen sie Antworten von einer Marke, der sie bezüglich E-Wissen vertrauen, und eine Garage mit der nötigen Beratungskompetenz in der Nähe. Daher glauben wir: Ampere ist genau die richtige Lösung für Erfolg auf dem europäischen Markt.

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Ampere wird also keine Automarke, sondern das Entwicklungsrückgrat der Renault-Gruppe?
Ja, Ampere ist ein Tech-Unternehmen und nicht als Marke mit direktem Endkundenkontakt gedacht. Kundinnen und Kunden werden auch in Zukunft zum Renault-Händler gehen und dort ein Auto mit Renault-Logo kaufen. Der neue Renault 5 darf beispielsweise nie ein anderes Logo haben als die Renault-Raute. Wir sehen dies nicht als Einschränkung für Ampere, sondern als Mehrwert: Der Kunde braucht eine Referenz zu einer starken Marke, ein gutes Händler- und Garagennetz. Als Rückgrat des Konzerns müssen wir schnell und agil sein wie der Wettbewerb. Mit Ampere geht das.

Sie wollen die variablen Kosten von der ersten zur zweiten E-Auto-Generation von Ampere bis 2027/2028 um 40 Prozent senken – wie soll das klappen? Allein über Skaleneffekte?
Ich kümmere mich ja schon länger ums Thema Kundenerfahrung, und je detaillierter ich mich darum kümmere, umso grösser und wichtiger erscheint mir das Thema. Man muss unterscheiden zwischen der Erfahrung der Kaufenden und derjenigen der Nutzenden. Wir haben für das bessere Verständnis dafür eine grosse Kundenumfrage in ganz Europa durchgeführt. Teilen wir unsere Kunden beispielsweise in zwei Gruppen auf, dann gibt es die modernen, technologieaffinen sogenannten Early Adopter. Die sind glücklich, wenn sie einen Teil des Kundenkontakts wie etwa den Kauf online abhandeln können, aber wollen teilweise doch physischen Kontakt. Hier sprechen wir etwa von 20 Prozent Anteil. Diese Gruppe ist sehr offen bei Belangen bezüglich Finanzierung des Wagens und stimmen vielleicht einer Abo-Lösung zu. Dieselbe Gruppe ist einverstanden, dass sie gar nicht mehr in die Garage muss. Der Wagen wird abgeholt, die Marke kümmert sich um alles.

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Und wie tickt die andere, grössere ­Kundengruppe?
Der Grossteil der Kundschaft der E-Auto-Kaufenden will zwingend menschliche Ansprechpartner. Es sieht alles einfach und simpel aus, aber weil diese Kunden nicht wissen, welches E-Auto sie kaufen und wie sie damit umgehen müssen, brauchen sie Beratung. Diese Kunden müssen auch individuell abgeholt werden: Einem E-Skeptiker müssen Sie vielleicht noch zwei Jahre Assistenz versprechen; bleibt er mit leerem Akku stehen, kommt Renault und hilft – so baut man Ängste ab.

Ein Pannenservice allein wird aber kaum ausreichen.
Nein. Für Kunden mit Haus bieten wir beispielsweise unterschiedliche Lademöglichkeiten an. Nun gehen wir in Europa einen Schritt weiter und werden dank bidirektionaler Ladetechnologie auch die Möglichkeit bieten, das E-Auto günstiger zu laden, indem durch smartes Lademanagement auch wieder Strom aus dem Akku ans Netz abgegeben wird. Der Kunde muss dazu auf der Renault-App nur festlegen, wann er wieder losfahren will und wie hoch der Ladestand dann sein soll. Bis er losfährt, übernimmt das System das ganze Energiemanagement und kümmert sich um die besten Zeiten, um Energie zu kaufen und zu verkaufen. Wir bieten Renault-Kunden bereits so Ladeverträge an. Dabei geht es nicht nur ums Sparen: Wir bieten ausschliesslich Grünstrom an. Wir arbeiten an allem, was für Kundinnen und Kunden eine Hürde beim Wechsel auf die E-Mobilität sein könnte.

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Müssen sich Garagistinnen und ­Garagisten als Ansprechpartner allein um alles kümmern?
Nein, sie sind zwar die Hauptansprechpartner für Kundinnen und Kunden, denn die wollen das E-Auto beim Händler kaufen und sich dort beraten lassen. Wir bei Ampere und Renault müssen aber so aufgestellt sein, dass wir Garagen unterstützen, denn das Energiesystem kann komplex sein. Wir müssen Händler durch Expertenwissen tatkräftig unterstützen. Klar kann man etwa mit «Reno», dem offiziellen Avatar von Renault, dem Kunden viel Service und Hilfestellungen im Auto selbst geben. Aber der Händler bleibt weiterhin ganz zentral. Und das ist für ihn auch eine Chance!

Wie meinen Sie das mit der Chance für Garagen?
Die Garagen können sich nicht nur als Mobilitäts-, sondern auch als Energiekompetenzzentren positionieren. In den Niederlanden zum Beispiel gibt es viele Garagen mit Photovoltaikanlagen auf dem Dach. Zudem nutzen sie Batteriespeicherkapazitäten, haben verschiedene Lademöglichkeiten und können spezielle Energiepreise – etwa während einer Happy Hour – bieten. Wissen die Kunden in der Region, dass sie einen guten Preis bei der Schnellladesäule der Garage erhalten und können sie den Platz an der Ladesäule einfach reservieren, nutzen sie dieses Angebot. Sowas könnte eine spannende Rolle für Garagen sein, die sich zudem als regionale Player im Energiemarkt etablieren.

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Sie planen auch eine «­ElectriCity» als Produktionshub für E-Autos mit kurzen Wegen für alle Zulieferer in Europa. Ist diese «ElectriCity» eine Blaupause für Ihr Autowerk der Zukunft?
Wir wollen unsere Elektromodelle natürlich auch auf anderen Märkten verkaufen. Der Megane wird beispielsweise in Brasilien verkauft, der R5 in der Türkei und in Japan. Wir werden die «ElectriCity»-Idee also sicherlich weiterspinnen. Wir gehen das aber Schritt für Schritt an, nur schon Europa ist ein hart umkämpfter Markt. Wir sind mit Renault, Ampere und unserem Mobilitätsdienstleister Mobilize aber organisatorisch gut aufgestellt. Doch es ist nichtdestotrotz noch ein weiter Weg. Es wird sicher das eine oder andere Auf oder Ab geben, deshalb müssen wir widerstandsfähig und effizient sein: Die Transformation wird uns in den nächsten Jahren noch viel Energie abverlangen.

Weitere Infos unter: ampere.cars

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Christian Stein im Porträt
Seit mehr als 30 Jahren ist der Franzose Christian Stein Führungskraft in der Autobranche. Seine Laufbahn startete er 1991 bei Peugeot-Citroën (PSA), wo er etwa neue Vertriebsmethoden für Peugeot entwickelte. 1999 stieg der Elsässer in Belgien zum Verkaufsleiter Peugeot Brüssel auf und 2003 zum Direktor der dortigen Peugeot-Niederlassung. 2004 bis 2008 war Stein Marketingdirektor für Peugeot Belgien, 2008 übernahm er die gleiche Funktion bei Peugeot in Grossbritannien. 2011 wechselte er als weltweiter Marketingchef zur Volkswagen-Tochter Seat nach Spanien. Ab 2015 war er weltweiter Kommunikations- und PR-Chef Seat und Cupra. Ab Ende 2020 verantwortete er als Direktor die Kommunikation aller Renault-Gruppenmarken (Alpine, Dacia, Mobilize und Renault). Seit 1. November 2023 ist Stein nun verantwortlich für Kosten und Kundenerlebnis bei Ampere.
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